25 Lernerinnen und Lerner aus verschiedenen Regionen Deutschlands nutzten das Angebot des ALFA-Mobil Projekts zur Weiterbildung in Sachen Medienpräsenz und Medienrecht.
Das zweite Medientraining vom ALFA-Mobil Projekt fand vom 1. bis 3. Februar im Pentahotel in Kassel-Wilhelmshöhe statt. Unter Anleitung der Medientrainerin und Journalistin Cornelia Reinhold und des Medientrainers und Journalisten Fredrik Barkenhammar konnten sich die Teilnehmenden in Interviewsituationen üben, erfahren wie Journalistinnen und Journalisten „ticken“ und was die eigenen Rechte im Umgang mit der Presse und den Medien sind. An den zwei Seminartagen fanden Übungen zur Körpersprache und zur Präsenz vor der Kamera sowie Sensibilisierung für die Arbeitsweise von Medien statt. Der Schwerpunkt des Trainings lag auf praktischen Übungen und gegenseitigem Feedback mit dem Ziel einen sicheren und selbstbestimmten Umgang der Teilnehmenden mit Presse, Funk und Fernsehen zu fördern.
Motiviert und engagiert – Mit dem ALFA-Mobil auf Tour
Einige der Teilnehmenden waren bereits zum zweiten Mal dabei. Sie sind entweder in einer der insgesamt zwölf deutschen Selbsthilfegruppen zum Thema Lesen und Schreiben für Erwachsene organisiert oder begleiten das ALFA-Mobil bereits regelmäßig als Ehrenamtliche. So werden die meisten der Aktionen des ALFA-Mobils – im Jahr 2019 sind es 160 – von Menschen begleitet, die erst als Erwachsene begonnen haben, (besser) lesen und schreiben zu lernen. Welch hohe Motivation die Beteiligten dabei mitbringen, zeigt das Beispiel eines Kursteilnehmers, der jährlich rund fünf Urlaubstage reserviert, um das Projekt zu unterstützen. Und damit ist er kein Einzelfall. „Durch die Förderung des BMBF, hat das ALFA-Mobil Projekt“, so Projektleiter Tim Henning, „die Möglichkeit, alle zwei Jahre ein Medientraining für Lernerinnen und Lerner zu veranstalten. Da die erste Veranstaltung 2017 als sehr bestärkend und lehrreich von den Teilnehmenden empfunden wurde, haben wir sie sehr gern fortgesetzt. Die Arbeit des ALFA-Mobils, also Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit für das Lesen und Schreiben lernen bei Erwachsenen zu machen, profitiert ganz stark von der Mitwirkung der Lernerinnen und Lerner. Unsere Aktionen – seien es Schulungen oder Stände auf Messen oder in Einkaufszonen – erfahren große öffentliche Resonanz, so dass die Teilnehmenden häufig für Interviews, Film- oder Tonbeiträge angefragt werden.“
Wie wollen wir uns nennen? Auf der Suche nach einer passenden Selbstbezeichnung
An dem Medientraining nahmen neben den Lernerinnen und Lernern auch sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ALFA-Mobil Projekts teil. Auch sie treten oft vor die Presse, um Fragen zum Thema zu beantworten. Eine wichtige Frage, die sie, aber wohl noch mehr die Betreffenden selbst bewegt, ist die Frage nach einem angemessenen Begriff, um sich als Mensch zu bezeichnen, der nicht richtig lesen und schreiben kann beziehungsweise als Erwachsene oder Erwachsener beginnt, es richtig zu lernen. Aus diesem Grund bekamen die Teilnehmenden innerhalb des Medientrainings Raum dafür, sich untereinander über eine positive Selbstbezeichnung zu verständigen. Der Fachbegriff funktionale Analphabetin/ funktionaler Analphabet ist unter den Betroffenen umstritten, unter anderem, weil er sehr kompliziert ist und weil mit „Analphabet“ womöglich der Gedanke verbunden wird, dass die Gemeinten gar nicht lesen und schreiben können. Die emotionale und differenzierte Diskussion machte deutlich, dass es nicht einfach ist, den einen alternativen und für alle passenden Begriff zu finden, aber auch, dass es mehrere Begriffe gibt, mit denen sich viele der Teilnehmenden eher anfreunden/identifizieren können. Als „Lernerinnen“ und „Lerner“ zum Beispiel oder „Menschen mit Lese- und Schreibschwächen“. Wegen der Rolle, die sie einnehmen, wenn sie öffentlich über das Thema sprechen, sind auch Selbstbezeichnungen wie „Lerner-Expertin“ oder „Lerner-Experte“ sowie „Lern-Botschafterin“ oder „Lern-Botschafter“ bei einigen beliebt.
„Ich bin der Bestimmer meiner eigenen Geschichte“
Wie viel Medienerfahrung die Gruppe schon mitbringt, wurde in Kassel sehr deutlich. Während eine Teilnehmerin von dem Buch erzählte, dass sie gerade geschrieben habe, blickten andere auf Fernsehinterviews, Hörfunkbeiträge und Zeitungsartikel zurück. Auch unabhängig vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung treten Journalistinnen und Journalisten an sie heran. Dass das keineswegs ein einfaches Terrain ist, auch davon konnten manche Beteiligten ein Lied singen. Nicht „richtig“ zitiert worden zu sein oder die eigenen Aussagen verkürzt zusammengeschnitten zu sehen, all das möchte niemand der Beteiligten (noch mal) erleben. Authentizität und Selbstbestimmung war ein großes Thema, das viele bewegt: „Ich bin der Bestimmer meiner eigenen Geschichte und ich bestimme, was gelesen wird!“, verkündete eine Teilnehmerin souverän und erntete dabei viel Applaus und schuf zugleich ein Leitmotiv für das Wochenende.
Austausch, Netzwerken und Empowerment
Dass es an dem Wochenende auch viel darum ging, einander Mut zu machen, sich gegenseitig zu bestärken, war deutlich zu sehen und zu spüren. Gerade das Kennenlernen von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen hat viele bewegt, teilzunehmen. Abgesehen von den Inhalten und Übungen bot das Medientraining die Möglichkeit, sich auch mal über die Regionen hinweg untereinander auszutauschen. Das ist sehr wichtig, denn sich selbst mit der eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit zu trauen, erfordert viel Mut, Überwindung und Stärke. Dass und wie sich die Teilnehmenden gegenseitig unterstützten und gut zusprachen, konnte man vielfach beobachten. Kontakt aufzubauen und zu halten, ist wichtig, denn schließlich „haben wir alle das gleiche Problem“, so einer der Teilnehmenden. Dass das Problem nunmehr vielfach verwandelt worden ist in Mut und Energie, zu lernen, sich herauszutrauen und von eigenen Erfahrungen zu berichten, haben die zweieinhalb gemeinsamen Tage gezeigt.
Von: Nicole Pöppel