Ralf Häder, Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, kommentiert die ersten Ergebnisse der LEO-Studie 2018.
Auf den ersten Blick
Auf den ersten Blick erscheinen die Ergebnisse der LEO-Studie 2018 uneingeschränkt positiv: Die Anzahl der von funktionalem Analphabetismus betroffenen Personen im Alter von 18 – 64 Jahren ist von 7,5 Millionen auf 6,2 Millionen gesunken. Die Resonanz aus Medien, Politik und Weiterbildungslandschaft kam prompt und einhellig – der Rückgang bedeutet, dass 1,3 Millionen Menschen erfolgreich lesen und schreiben gelernt haben.
So lobt Bundesministerin Anja Karliczek in ihrem Vorwort zur Publikation der Hauptergebnisse der LEO Studie 2018 die neuen Zahlen und verzeichnet einen großen Erfolg:
„Mehr als eine Million Erwachsene haben in den vergangenen acht Jahren in Deutschland ihren Mut zusammengenommen und lesen und schreiben gelernt. Menschen, die mitten im Leben stehen. Erwachsene, die zum ersten Mal ihren Kindern eine Gutenachtgeschichte vorgelesen, die ihre erste Textnachricht verschickt, die erstmals ein Behördenformular selbst ausgefüllt haben. Das ist ein großer Erfolg“. (Quelle: http://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo)
Bei genauerer Betrachtung
Die positive Lesart der neuen Zahl berücksichtigt allerdings nicht deren Ursachen. Bei genauerer Betrachtung der bisher veröffentlichten Ergebnisse, lässt sich der Rückgang nicht auf die Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeiten von 1,3 Millionen Betroffenen zurückführen. Der Anteil der Weiterbildung an diesem Unterschied ist nicht eindeutig, da nach wie vor weit weniger als 1 Prozent der betroffenen Erwachsenen einen Lese- und Schreibkurs besuchen. Hauptsächlich unterscheidet sich die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung von 2010 und 2018 und deren Bildungsgrad.
Zusammenfassend lässt sich sagen
Zum Erhebungszeitpunkt der ersten LEO-Studie 2010 war sowohl die Altersgruppe der damals 50-64-Jährigen als auch der Anteil der funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten in dieser Altersgruppe überproportional vertreten. Ein erheblicher Teil dieser Alterskohorte ist nun aus der Befragung herausgefallen. Das bedeutet, wenn die Bevölkerungszusammensetzung zu beiden Erhebungszeitpunkten identisch gewesen wäre, hätte sich die Anzahl der von funktionalem Analphabetismus betroffenen Personen nicht signifikant verändert. Ein leicht erhöhter Literalisierungsgrad zeigt sich bei den jüngeren Altersgruppen. Hier lässt sich die verbesserte Situation in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik der letzten Jahre erkennen.
Als Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung können wir positive Entwicklungen feststellen, die sich vor allem in der besseren Zusammenarbeit von Bund, Ländern und wichtigen gesellschaftlichen Partnern, einer breiteren Öffentlichkeitsarbeit und intensivierten Beratungsarbeit widerspiegeln. Die offene und gute Zusammenarbeit sollte jedoch nicht dazu führen, dass wir in dem verständlichen Wunsch auf signifikant positive Veränderungen dazu neigen, Zahlen einseitig zu interpretieren.
Mit Blick auf die nächsten Jahre
Die demographische Entwicklung wird dazu führen, dass die absolute Zahl der von funktionalem Analphabetismus betroffenen Personen im Alter von 18 – 64 Jahren weiter sinken wird. Aus Sicht des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung sollte es Ziel der Bemühungen der AlphaDekade sein, den prozentualen Anteil der Betroffenen von 12,1 Prozent signifikant weiter zu senken und die Zahl derer zu erhöhen, die ihre Lese- und Schreibfähigkeiten im Erwachsenenalter verbessern.
Darüber hinaus müssen wir mit gleichem Engagement auch die lebensälteren Personen im Blick behalten, maßgeschneiderte Bildungsangebote entwickeln und so dazu beitragen, dass auch dieser Personenkreis seine Teilhabe-Chancen verbessert.
Von: Ralf Häder, Geschäftsführer beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.