Mit der LEO Studie 2018 wurden sowohl neue Zahlen zum funktionalen Analphabetismus veröffentlicht, als auch eine veränderte Begrifflichkeit vorgestellt.

Ein neuer Begriff?
Der Begriffsdiskurs, insbesondere um die drei Begriffe (Funktionaler) Analphabetismus, Grundbildung und Literalität ist alles andere als neu. Alle Begriffe haben ihre jeweilige Berechtigung und eigene Historie, bieten unterschiedliche Zugänge, ergänzen einander und haben Vor- und Nachteile. Selbstverständlich gilt es diese kontinuierlich zu prüfen und auch (selbst-)kritisch in Frage zu stellen.

Warum?
Die Gründe für die in LEO 2018 erfolgte Hinwendung zum Begriff „geringe Literalität“ bzw. „gering literalisierte Erwachsene“ wurden bereits im Fragebogen zu LEO 2018 beschrieben und dem, auch in der Vorgängerstudie, verwendeten Begriff des funktionalen Analphabetismus gegenübergestellt: „Der Begriff „funktionaler Analphabetismus“ gilt als stigmatisierend und als ungeeignet für die erwachsenbildnerische Praxis. Zudem hat die Erfahrung seit der LEO – Level-One Studie gezeigt, dass der Begriff missverständlich, da sehr stark erklärungsbedürftig und zudem in der internationalen Diskussion schwer anschlussfähig ist (vgl. Steuten 2014). Um diesem Umstand gerecht zu werden, verwendet LEO 2018 den Begriff „geringe Literalität“ bzw. „gering literalisierte Erwachsene“ – immer im Hinblick auf die dominante Literalität in Deutschland.“ (Quelle: https://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo/files/2019/03/Fragebogen_V12-zur-Publikation_erg%C3%A4nzt.pdf)

Oder doch alles beim Alten?
Unbestritten ist, dass der Begriff Funktionaler Analphabetismus für die Ansprache von Betroffenen und im Kontakt zu Lernenden und Lernbotschaftern unvorteilhaft ist, weil er stigmatisierend wirken und zu Missverständnissen führen kann. Unbestritten ist auch, dass der Begriff hierfür nicht gedacht ist. Aber wäre die Alphabetisierungsarbeit in Deutschland ohne den Begriff „Funktionaler Analphabetismus“, ohne seine wachrüttelnde Schock-Wirkung heute da, wo wir jetzt stehen? Hätte es eine AlphaDekade gegeben? Hätten wir den Forschungs- und Kenntnisstand deutlich erhöht? Gäbe es so viele gelungene Praxis-Projekte? Wäre die Öffentlichkeitsarbeit derart intensiviert worden? Gäbe es so viel Berichterstattung?

An den Stellen, an denen es dringend notwendig ist, dürfen wir uns selbst nicht dieses Motors berauben. In der Öffentlichkeitsarbeit, im Kontakt zu Presse und Politik, um auf Missstände aufmerksam zu machen, um für qualifiziertes Personal in allen Bildungssegmenten einzustehen, das auch adäquate Beschäftigungsbedingungen vorfindet und schlussendlich: um für die Rechte von Millionen von Erwachsenen zu kämpfen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben, brauchen wir eine deutliche Problembeschreibung. An dieser Stelle hat der viel geschmeidigere und weniger aufrüttelnde Begriff „geringe Literalität“ klare Nachteile.

Wir freuen uns allerdings darüber, dass mit dem Terminus „Literalität“ die wissenschaftliche Anschlussfähigkeit im internationalen Kontext gegeben ist und wir unter anderem zukünftig in diesem Kontext noch sprachgenauer formulieren können.

Was nun?
Die Mühe, die eine kontextbezogene Formulierung erfordert, sollten wir uns aber weiterhin machen – in jeder Situation, bei jedem Gespräch, mit jedem Gegenüber …

Von: Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.